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“Blinddarm der Gesellschaft”

Coronas langer Schwanz

Löcknitz, 20.März 2024

Liebe Nora,

wir haben lange nichts voneinander gehört. Oder zumindest DU nichts von mir. Seit November schon liegt dein neuer Fragebogen auf meinem Schreibtisch. Das heißt, inzwischen ist er in die Schublade gewandert. Erst war ich richtig euphorisch, wollte mich unbedingt beteiligen, aber dann konnte ich nicht. Dieser ganze Corona-Wahnsinn wiegt so schwer, ist immer noch präsent. Jedenfalls in mir. Manchmal taucht er ein wenig ab, aber dann ploppt er wieder nach oben und drückt und schmerzt. Diese Corona-Sache hat einfach einen noch viel längeren Schwanz als ich jemals vermutet habe.
Vorgestern wurde ich zur Hochzeit eines Freundes eingeladen, den ich sehr lange kenne und mag. Dieser Freund kam extra vorbei, um mich persönlich einzuladen, aber auch, um mir mitzuteilen, dass ein gemeinsamer Bekannter kommen wird, von dem, so sagte mein Freund, er ja wüsste, dass ich mit diesem ein Problem habe. – Natürlich wegen Corona. –
Nora, mir ruckte das Herz und schüttelte sich. „Nein“, sagte ich, „ ich habe kein Problem mit ihm, ich habe ein Problem damit, wie er sich verhält.“
Das war vor zwei Tagen. Seitdem bin ich total unruhig und merke, wie tiefgreifend diese Coronaausgrenzung für mich war und wie ich immer noch aufräume. Gerade sind die Schweiger dran, die alles haben geschehen lassen. Verrückt.
Ich glaube, ich kann nicht zu dieser Hochzeit gehen. Ich kann nicht mit Menschen feiern, die so ausgrenzend waren. Nicht nur mir gegenüber. Die das zugelassen haben – „Blinddarm der Gesellschaft“ und all diese Scheiße, die wir uns anhören mussten und “Bitte kauft nicht bei …” – du weißt schon.
Ich glaube, ich brauche da richtig Hilfe. Kennst du jemanden, einen Coach, einen Therapeuten, mit dem ich über dieses Thema sprechen kann? Es ist so tiefgreifend.

Ich danke dir,
liebe Grüße,
Emma.

Ein Gedanke zu „“Blinddarm der Gesellschaft”

  1. Nicht wir brauchen einen Therapeuten, sondern die Menschen, die sich so ausgrenzend verhalten haben und auch jetzt, wenn Stück für Stück ans Licht kommt, dass unsere Skepsis nicht unbegründet war, nicht die Grösse haben, sich zu entschuldigen, zu reflektieren und Fehler zuzugeben.
    Wenn ich merke, dass da ein Prozess in Gang kommt, wie etwa beim Nachrichtensprecher des ZDF, Herrn Sievers, der ganz klar in der Nachrichtensendung ausgesprochen hat, dass es Fehler gegeben hat und man sie aufarbeiten muss, um sie nicht zu wiederholen, dann bin ich bereit, wieder aufeinander zuzugehen.
    Ansonsten verzichte ich weiter auf den Kontakt zu Hardlinern.
    Zur Hochzeit würde ich nur gehen, wenn ich wüsste, dass ich mich dort nicht erneut einsam fühlen würde. Wenn gute Begegnungen möglich sind, würde ich den einen Unsympath einfach ignorieren.

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