Briefwechsel

Nora – 15. Oktober 2023

Noras erster Brief

Pinnow, 15. Oktober 2023

Liebe Hannelore,

wie lange haben wir nichts voneinander gehört? Wann haben wir uns zum letzten Mal geschrieben? Ich glaube, im Dezember wird es drei Jahre her sein. Es hat sich viel getan in dieser Zeit. Die Welt steht weiterhin Kopf. Ist eine andere geworden. Oder sehe ich sie nur anders? deutlicher?
Liebe Hanne, ich schreibe dir, weil ich unseren Briefwechsel gerne wieder aufnehmen, mich erneut austauschen und hören bzw. lesen möchte, wie es dir und euch geht, wie du, wie ihr in die Welt schaut. Ab und an sehe ich deinen WhatsApp-Status – ihr scheint viel auf Reisen zu sein. Ich bin neugierig. Wollte schon lange schreiben, habe mich aber nicht getraut. Unser letztes Telefonat stand dazwischen. Erinnerst du dich?
Weihnachten 2020 – die Impfung entzweite uns. Du warst fassungslos, wie ich so unsolidarisch sein konnte, die Impfung, wenn ich denn an der Reihe wäre, ablehnen zu wollen. Unser Gespräch war kurz. Du hattest mich gerade noch so erwischt, ich war damals auf dem Sprung, meine Schwester wartete. An sich hatten wir, das jedenfalls versicherten wir uns, unser Gespräch später fortsetzen wollen, tatsächlich jedoch hatte ich keine Lust dazu. Ich war so entsetzt, wie vermutlich auch du entsetzt warst. Sprachlos, wie so viele.

Inzwischen hat so etwas wie ein Tauwetter eingesetzt. Oder doch eher ein Vergessen(-wollen)? Jedenfalls sprechen die Menschen wieder miteinander. Häufig allerdings unter Ausklammerung des Themas der vergangenen drei Jahre. Die meisten wollen von Corona und dem, was in dieser Zeit geschehen ist, nichts mehr wissen. Das finde ich schwierig.
Deshalb war ich ganz begeistert, als ich vor zwei, drei Wochen bei Instagram den Post eines Journalisten   entdeckte, in dem er fragte: Warum hast du nicht mitgemacht?, und um Zusendungen bat.
Mir ging es sofort wie vor drei Jahren dir, als dein Max dich fragte, ob die Coronazeit so wichtig sei, dass man irgendwann in den Geschichtsbüchern darüber lesen werde. Ich möchte, dass man darüber lesen wird, warum wir uns wie verhalten haben. Wohl auch deshalb ratterte es in meinem Kopf sofort los. Ich habe mir sogleich Notizen gemacht, sie tags darauf in Form gebracht und tatsächlich an den Journalisten  geschickt.

Inzwischen allerdings finde ich seine Fragestellung zu eng, zu wertend. Ich will doch alle Meinungen hören, will ins Gespräch gehen, gerade mit denen, die anders denken als ich. Ich möchte gerne versuchen, ihre Perspektive einzunehmen und durch ihre Augen in die Welt zu schauen.
Liebe Hanne, ich verspüre den dringenden Wunsch, unseren Briefwechsel wieder aufzunehmen. Damit einhergehend kam mir auch gleich noch die Idee, all unsere Freunde und Bekannten, die vor drei Jahren deinen Fragebogen beantwortet haben, zu bitten, uns zu schreiben oder zu erzählen, warum sie sich in der Coronazeit wie verhalten haben, und wie sie diese Zeit und ihren Umgang mit dieser Zeit und den daraus resultierenden Gegebenheiten aus heutiger Sicht betrachten. Du weißt, als Schreibende und ehemalige Geschichtsstudentin verstehe ich mich immer auch als Chronistin unserer Zeit und möchte festhalten, was die Menschen bewegt bzw. bewegt hat, so zu handeln, wie sie gehandelt haben.
Ich würde mich riesig freuen, wenn auch du erneut Lust auf diesen Austausch hättest.

Ich grüße dich und natürlich auch Michael ganz herzlich,
deine Nora.

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