Nachdenkereien

Montags bin ich Gärtnerin

Montags bin ich Gärtnerin.

Lavendel

Ich dufte.
Auch noch nachdem ich in den See gesprungen bin und mich eine gefühlte Ewigkeit habe treiben lassen.
Den ganzen Vormittag habe ich in Lavendel gebadet. Nun haftet er mir an. Genau wie die Sonne. Meine Haut spannt.
Ich habe Lavendel geschnitten. Die oberen Drittel der Halme mit den überduftenden Blütenständen habe ich in einem großen Korb gesammelt. Der Korb riecht genau wie ich. Nur noch intensiver.
Die unteren beiden Halmdrittel habe ich stehen lassen, sie dürfen noch einmal austreiben und den Insekten den Herbst versüßen. Im Frühjahr werde ich auch sie schneiden – für einen üppigen Sommer.
Seit Montag bin ich Gärtnerin.
Nicht in meinem eigenen Garten, sondern zwei Dörfer weiter.

SUCHE HILFE IM GARTEN

– lautete die Anzeige, über die ich vor drei Wochen in unserem Amtsblättchen stolperte. Wie oft schon hatte ich mir überlegt, einfach mal in Berufe reinzuschnuppern? Gärtnern stand dabei immer ganz oben.

Außerdem brauchte ich einen Ausgleich. Ich bin viel zu viel im Kopf, mit viel zu vielen Projekten. Häufig dreht es sich in mir.

Natürlich könnte ich auch in meinem eigenen Garten gärtnern. Natürlich mache ich das auch. Allerdings ohne große Leidenschaft. In anderen Gärten gärtnert es sich irgendwie leichter.

Am Sonntag stellte ich mich bei Klaus und Monika vor. Der Garten ist schön. Lavendel, Wein, Brombeeren, Oregano, zwei Apfelbäumchen, hier und da ein Strauch und viel Wiese mit Blick in die Weite der Uckermark.

Ich solle einfach machen, was ich für richtig halte, sagte Monika. Seit Klaus nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt, kommt sie nicht mehr dazu ihren Garten zu pflegen. Den Rasen mähen die Nachbarn, hier und da schneiden sie auch mal die Sträucher runter.
Nun bin ich da und stürze mich in den Lavendel. Krieche in sein Gehölz und rupfe das wilde Gras, das in ihn hineinwächst. Um mich herum summt und brummt es. Eine der Bienen scheint mich in meinem Tun zu begleiten, wohin ich auch krauche, sie bleibt bei mir, surrt immer über mir.

Ich habe Kopfhörer eingepackt, hatte vor, mir die letzte Folge meiner neuesten spotify-Entdeckung anzuhören – seit drei Wochen lausche ich begeistert dem Literaturpodcast „Zwei Seiten“ von Christine Westermann und Mona Ameziane.
Hier im Lavendel jedoch gefällt mir das Lied der Biene viel besser. Endlich einmal bin ich nur im Jetzt. Gedanken kommen und gehen. Ich scheuche eine Spinne auf. Und was ist das? Die Erde bewegt sich. Hebt und senkt sich als würde sie atmen. Eine erdfarbene Kröte. Sitzt einfach da und atmet. Ihre kupfernen Augen blinzeln nicht einmal. Sie sieht aus, als habe sie sich ausgezogen. Nackt. Erdkröten, lese ich später, häuten sich mehrmals im Jahr.

Natur

Das Thema der Podcastfolge, die ich mir gerade nicht anhöre, ist die „Natur“. Für jede Folge suchen sich Christine Westermann und Mona Ameziane ein Thema und empfehlen sich gegenseitig je ein Buch dazu, das bzw. die sie dann besprechen. „Natur“. Wie passend. Ich könnte mitreden.

Könnte erzählen von den Eidechsen, die bei mir im Gewächshaus zwischen meinen Gurken wohnen, von dem Igel, der sich freut, dass wir unseren Laubhaufen haben liegen lassen, von den Staren, die uns erst die Kirschen und jetzt die Weintrauben mopsen und so traumhaft sicher im Schwarm fliegen, das es wie ein Tanz aussieht. Von den vielen Kranichen, die jetzt gerade wieder auf unseren Feldern zum Sammeln blasen, von den Störchen, die lange nicht so friedlich sind, wie ich dachte, bis sie meine Nachbarn wurden und deren Nachwuchs greint wie meine Kinder früher geweint haben. Und natürlich auch von dem Marder, der sechs Jahre lang bei uns im Dach gewohnt und ordentlich Radau gemacht hat. Aus Angst um unser Dach hatten wir einen Kammerjäger kommen lassen, der unseren Untermieter zu einem Umzug überreden sollte. Das Mittel seiner Wahl war LAVENDEL. „Marder“, sagte der Kammerjäger „mögen keinen Lavendelgeruch“ und verstreute im gesamten Dachstuhl Lavendelkügelchen. Unseren Marder störte das nicht. Er radaute weiter – natürlich immer nur mitten in der Nacht und direkt über meinem Kopf.
Seit Ende August allerdings habe ich ihn nicht mehr gehört. Irgendwie vermisse ich ihn.
Vielleicht, überlege ich, sollte ich den Lavendelgeruch im Dach erneuern. Den Lavendel in meinem eigenen Garten habe ich noch nie geschnitten. Es wird Zeit. Der Lavendel tut mir gut.

Wie die Gartenarbeit überhaupt. Abends liege ich im Bett und rufe mir das Bild des gemachten Lavendelbeets vor Augen. Es ist so schön, sehen zu können, was man getan hat. Außer dem Lavendel habe ich noch zwei kniehoch bewachsene Wiesen gemäht, die Rose an der Hausmauer freigelegt und Laub geharkt.
Nun freue ich mich darauf, dass Monika und Klaus sich hoffentlich freuen werden, wenn sie in zwei Wochen wieder raus in die Uckermark kommen. Vor allem Monika. Als sie mir ihren Garten zeigte, sagte sie:

„Ich habe jetzt andere Aufgaben“.

In der Küche auf dem Tisch lag Helga Schuberts „Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe“. Ich habe das Buch gelesen. Helga Schubert beschreibt darin den Alltag mit ihrem dreizehn Jahre älteren, kranken und zunehmend in eine andere Wirklichkeit abdriftenden Mann.
Wie schnell sich ein Leben von heute auf Morgen so grundlegend ändern kann.
Auch Klaus war bis vor einem halben Jahr ein gesunder noch immer schaffender Mann. Und Monika noch keine pflegende Ehefrau.

Nächsten Montag werde ich einen kleines Lavendelsträußchen binden und in einer Vase in die Küche stellen. Wenn Klaus und Monika dann am Wochenende zum Ausruhen in ihr Häuschen kommen, soll es für sie duften.
Ein Hauch von Sommer den ganzen Herbst und Winter lang.
Ein Dank von mir – der glücklichen Gärtnerin.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert