Nachdenkereien

Wer macht eigentlich Angela Merkel die Haare?

„Mama, findest du Angela Merkel hübsch?“ Oh Gott, was kommt jetzt wieder, denke ich. Doch noch ehe ich antworten kann, schnattert meine kleine Loli schon weiter: „Also, ich finde sie nicht hübsch. Aber ihre Haare, die sehen immer picobello aus.“ Ganz ehrlich, ich habe mir noch nie Gedanken, über Angela Merkels Haare gemacht. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich auch nicht sofort, wie die Haare unserer Bundeskanzlerin eigentlich aussehen. Also so im Detail. Trägt sie einen Scheitel? Hat sie Strähnchen? Liegen die Haare hinter ihren Ohren oder verdecken sie sie?

„Worüber du dir immer so Gedanken machst“ staune ich meine Jüngste an. „Weißt du, was ich mich frage?“, sagt Loli, als ob sie mich gar nicht gehört hätte. „Nein, weiß ich nicht“, antworte ich wahrheitsgemäß und hoffe, dass sie es mir gleich verraten wird. „Ich frage mich“, sagt Loli und dehnt dabei jedes Wort so, dass ich nun wirklich richtig gespannt bin, welche Gedanken sie gerade bewegen. Doch Loli lässt mich zappeln. Sie holt tief Luft. Dann beginnt sie noch einmal von vorn. „Ich frage mich“, sagt sie also, „ob Angela Merkel sich ihre Haare selber macht?“

Ahhh, daher weht der Wind, denke ich und schmunzle in mich hinein. Mit dieser Frage kann ich etwas anfangen. Seit nämlich Claudia, die Mama von Toni in der Schule gewesen ist, um ihren Beruf vorzustellen, will Loli unbedingt Friseurin werden. Allerdings nicht erst in zehn Jahren, sondern jetzt gleich. Um Lolis drängendem Wunsch entgegenzukommen, habe ich Glätteisen, Lockenstab, Lockenwickler, Papilotten und etliche Bürsten und Kämme gekauft und außerdem ihre Schwester überredet, sich neben mir als Modell zur Verfügung zu stellen. Inzwischen jedoch reicht es Loli nicht mehr, uns nur mit Hilfe von Lockenstab und Bürsten aufzuhübschen, sie will endlich richtig Hand beziehungsweise Schere anlegen. Dass wir das kategorisch verweigern, findet sie überhaupt nicht spaßig. Um uns zu strafen, also vor allem mich, schnippelt sie immer mal wieder an sich selbst herum. Zum Glück hat sie Locken. Die ringeln sich einfach als sei nichts geschehen. Wenn nicht hin und wieder die eine oder andere im Waschbecken läge, würde ich ihre Schnittversuche gar nicht bemerken.

„Was glaubst du, Mama?“ fragt Loli. „Willst du sie ihr etwa schneiden?“, frage ich „Quatsch“, widerspricht Loli. „Ich müsste doch erst mal üben“. Das leuchtet mir natürlich ein. Loli kann unmöglich an Angela Merkel rumschnippeln, bevor sie an mir geübt hat. „Also, was glaubst du?“ Loli lässt nicht locker. „Die wird schon einen Friseur haben, der ihr die Haare macht“, sage ich. „Wie oft?“ fragt Loli. „Was wie oft?“ Ich verstehe die Frage nicht. „Na wie oft er ihr die Haare macht?“ Woher soll ich wissen, wie oft sich unsere Bundeskanzlerin die Haare machen lässt. „Bestimmt vor jedem Auftritt“, schätze ich. „Das glaube ich auch“, stimmt mir Loli zu.

Nun sagt sie eine ganze Weile nichts mehr. Sie sitzt auf der Couch und starrt aus dem Fenster. Ich kenne meine Loli. In ihr rumort es. Ich sehe förmlich wie die Gedanken in ihrem Kopf hin- und her rasen.

Zehn Minuten lang, dann bricht es aus Loli heraus: „Das geht nicht!“ Obwohl ich auf einen Ausbruch vorbereitet bin, zucke ich erschrocken zusammen. „Angela Merkel muss sich die Haare selber machen!“ Jetzt komme ich nicht mehr mit. „Warum?“ frage ich. „Weil vielleicht Lockdown ist und die Friseure nicht arbeiten dürfen!“, erwidert Loli mit dem Habitus einer leicht genervten Lehrerin. Fassungslos starre ich meine kleine große Zehnjährige an. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen und ich denke nur: „Kindermund tut Wahrheit kund!“