Briefwechsel

Wo ist die Jugend? Wo sind die Studenten?

Die starke Hand der VerFührung

Schwedt, 1. April 2024

Liebe Nora,

beim Berliner Ostermarsch am Samstag kam ich mit einem Studenten ins Gespräch. Er hatte seine kleine Tochter auf den Schultern, und ich habe mit ihr geschäkert. Der Student erzählte etwas verzweifelt und traurig über das große Desinteresse, die große Abwesenheit seiner Kommilitonen bei solchen Demos für den Frieden. Als einer der Redner von der großen Menschenmenge sprach, die hier und heute für den Frieden zusammengekommen sei, lachte er ganz bitter auf. Zu Recht. Wir waren zweieinhalb- , maximal dreitausend Leute. Die meisten jenseits der fünfzig, eher noch der sechzig.

Wo ist die Jugend? Wo sind die Studenten?
Wie war das früher?
Ich dachte immer Universitäten seien Schmelztiegel für Veränderung.

Wie war das zu deiner Zeit, Nora? Du hast doch auch studiert. Seid ihr auf die Straße gegangen? Wofür? Wogegen?

Unlängst habe ich mal wieder „Die Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann gesehen. Ich fand es immer einen ganz großartigen Film. Jetzt allerdings habe ich mal geschaut, wann der gedreht worden ist. 1944, mitten im zweiten Weltkrieg. Über junge Menschen, Primaner, den Schalk im Nacken, aber dennoch irgendwie angepasst. Im wirklichen Leben gab es solche Primaner schon lange nicht mehr, sie wurden alle an der Front verheizt.
Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, die dem Drill der Hitlerjugend entwachsen und müde, zunächst unpolitisch über moderne amerikanische Musik als „Edelweißpiraten“ aufbegehrten, nach mehrfach gewalttätigen Razzien des Staates allerdings zunehmend politisch bewusster und engagierter wurden. Aber was konnten sie groß tun?! Du kennst die Geschichte, sogar das Verteilen von Flugblättern wurde mit dem Tode bestraft. Studentenrevolte war  kaum möglich, aber partiell sehr wohl vorhanden.

In den 1968 er Jahren, also vierundzwanzig Jahre, sprich, nur eine Generation später, schienen die studentische Herzen zu brennen, sie entflammten  Autos, besetzten genau jene Häuser, die zwanzig Jahre zuvor von britischen Bomben verschont geblieben waren. Sie schliefen auf schmuddeligen Matratzen auf den Böden der Zimmerecken – viele nackte Körper miteinander verschlungen, wie ein gordischer Knoten. Vernebelt und mit viel Woodstock im Kopf wolltenn sie alles ganz anders machen als die Generation ihrer Eltern. Gespaltene Studentengruppen schwankten zwischen echter politischer Rebellion, echter altnazivertreibender Radikalität, philosophischer Findung und freier Liebe für alle. Gegen die Väter und gegen den Staat –  das „Wie“, war einfach egal, Hauptsache anders. Antiautoritär war der grenzenlose, radikale, missglückte Versuch, es ohne Doktrin besser machen zu wollen.
Immens war das Aufbegehren gegen Kriege wie zum Bespiel in Vietnam. Das (studentische) Denken hatte sich durch den Betrug an ihrer Jugend und durch die Gewalttätigkeit eines Krieges verändert.

Studenten heute im Jahre 2024 sind irgendwie anders, sind kuschelweich, aufgewachsen mit einer Nintendo, einer X-Box oder Playstation als Babysitter. Politische Auseinandersetzungen finden, so meine Wahrnehmung, nicht mehr statt. Oder nur noch bunt geschmückt  in den eigenen vier Wänden. Oder wenn sie es dann doch auf die Straße schaffen, mit Transparenten und Parolen, die der Staat an Häuserwänden bereitgestellt hat, also mit „modernem Sponsoring“.

Inzwischen lässt man sich als Student vom Staat nicht nur vollfinanzieren, sondern auch gerne von der Regierung zur richtigen Einstellung bekehren, statt selbige in Frage zu stellen und ggf. gegen sie aufzubegehren. In einen gesunden verbalen Austausch mit anderen, nicht studierenden Menschen, mit Bauern, Arbeitern oder Großeltern zu treten, ist wenig zeitgemäß – Schwurbelei eben.
Studenten heute sind unverkäuflich käuflich und  stehen selbstüberbewusst Hand in Hand mit Vater Staat, anstatt seinen unfassbaren Mief zu vertreiben. Muttersprache und Biologie wird sinnfrei veräußert, liegt am Boden der Tauschbörse, wird billig verramscht. Was erlaubt, verboten, als gut oder falsch gilt oder künftig gelten darf, bestimmen Schreihälse, die verlernt haben, zuzuhören. Oder Experten.
Studenten heute bauen mit an einem Überwachungsstaat, der das „Böse“ um sie herum überwachen, zensieren und verbieten soll. Dazu gehören allerdings nicht die pädagogisch wertvollen Masturbationsräume für 1-6jährige Babys und Kleinkinder in Kindertagesstätten, sehr wohl aber deren Eltern, wenn sie das für psychisch krank halten. Wer heute behauptet, dass es in Flora und Fauna das Männliche und das Weibliche gibt, wird angeschrien, wer eine Friedensfahne für den Frieden in der Welt schwenkt oder sich gegen Waffenlieferungen stellt, bekommt die geballte Wut junger Menschen zu spüren, die ganz genau wissen, was richtig und was falsch ist.
Studenten-Revolte in den Universitäten von heute hat den Charakter von Charakterlosigkeit, ist nicht vorhanden und sehnt sich wieder nach einer starken Hand der VerFührung, ohne zu bemerken, dass  diese längst gereicht wurde.

Damals, wie heute, Ausnahmen bestätigen glücklicherweise wie immer im Leben die Regel, wollen Studenten solche Zusammenhänge allgemein nicht erkennen, viel zu beschäftigt leben sie im Kult. Auch hier Gruppenzwang. Das Beurteilen Andersdenkender nimmt viel Zeit und Raum in Anspruch. Studenten-Revolte heute bringt keine Veränderung. Sie steckt im Hohlraum eines trojanischen Pferdes fest, dessen Ausgang von irgendjemandem von außen, wie von innen zugenagelt worden ist.

Nora, ich musste mir Luft machen. Und du sammelst ja … Vielleicht ist mein Exkurs in der Rückschau mal wichtig.

Grüß mir den Jo-Papa!

Paul.

 

2 Gedanken zu „Wo ist die Jugend? Wo sind die Studenten?

  1. Hallo Paul,
    ich empfinde das ähnlich. Ich sehe eine sehr aktive Gruppe junger Menschen, die fast oder real hauptamtlich (in den vielen von den Demokratie-Töpfen finanzierten Initiativen) im „Kampf gegen Rechts“ aufgeht, (dazu könnte ich auch viel schreiben).
    Die meisten anderen versuchen vor allem, auf der Seite der Guten zu stehen, und da sie sich von Politik und Medien vorgeben lassen, wer das ist, ersparen sie sich Konflikte und schlagen sich auf diese Seite.
    Darum tauchten sie weder bei den Coronaprotesten auf, noch sind sie zahlreich bei den Demos für Frieden zu finden. Umso leidenschaftlicher versammeln sie sich bei Fridays for Future – Veranstaltungen, wenn sie in der Schulzeit stattfinden und aktuell zum Protest gegen „Rechts“, um vermeintliche Staats-und Demokratiefeinde in die Schranken zu weisen. Es reicht ihnen dann aber nicht, dort Gesicht zu zeigen. Sie positionieren sich klar und brechen den Kontakt mit Menschen ab, die nicht ebenso klar Haltung zeigen. So ist es mir edenfalls ergangen. Als ich zu bedenken gab, dass so vieles als „Rechts“ bezeichnet wird, das einfach nur kritische Sicht ist, teilte mir eine junge Frau mit, dass es ihr Leid tue, aber man müsse klare Kante gegen Nazis zeigen, wenn ich das anders sehe, müsse sie leider den Kontakt zu mir beenden. Und zog das durch, ohne mir noch die Möglichkeit zu geben, ihr zu antworten.
    Ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass es nur noch Schwarz und Weiß geben soll und alle Zwischentöne als Schwarz interpretiert werden? Wodurch wurde diese holzschnittartige Sicht der Wirklichkeit akzeptabel ?
    In der DDR wurde ein ähnliches Bild der Realität zu vermitteln versucht. Aber es wurde dann viel mehr in Zweifel gezogen. Warum ist das heute anders?
    Zwei Überlegungen dazu:
    Zum einen wachsen viele Kinder, vor allem die späteren Studenten, heute in großem materiellen Wohlstand auf. Ihnen fehlte es an nichts, was es um so leichter macht, Verzicht (theoretisch !) zu akzeptieren (was die Politik gerade auf allen möglichen Gebieten von uns fordert) und dafür zu plädieren.
    Zum anderen haben Kinder heute in der Familie viel mehr Rechte, Eltern respektieren Wünsche und Meinungen. Es gibt kaum Gründe, sich von den Eltern abzugrenzen und zu rebellieren. Also verlagert sich dieses Verhalten auf die Zeit, wenn das Elternhaus gerade verlassen wurde. Man möchte nun gesellschaftskritisch sein, begeistert sich für sozialistische oder sogar kommunistische Ideen. Da es in Politik und Medien vorgelebt wird, wird anderen Ansichten und Einstellungen wenig Toleranz entgegengebracht. Wie im Brief beschrieben, geht das so weit, dass Veranstaltungen zu verhindern versucht oder gestört, Redner niedergeschrien und Andersdenkende denunziert werden.
    So etwas kannte ich aus der DDR. Ich hätte nicht erwartet, dass es so schnell zurückkommt.
    Ich bin traurig, wenn im engsten Familienkreis abgesprochen werden muss, welche Themen vermieden werden, um zu Festen keine Konflikte auszutragen. Ich bin entsetzt, wenn meine Schwester, die einfach nur fleißig und mit Spaß arbeitet und niemanden benutzt oder ausbeutet (weil sie Soloselbständige ist), von meiner Nichte als „Schei..kapitalistin“ beschimpft wird.
    Das ist für mich Salonkommunismus, denn diese Kids erwarten den gewohnten Wohlstand, bestehen aber auf „Work-Life-Balance“ für sich und wollen dann andere enteignen oder Besitz umverteilen.
    Dass es den Deutschen so gut geht, weil drei Generationen vor ihnen fleißig und hart gearbeitet haben, haben die Kids aus dem Blick verloren…
    Mein Schwung, mich dafür einzusetzen, dass wir weiter in Frieden und vor allem Freiheit leben können, hat daher gelitten. Ich wollte es auch für die tun, die noch viel länger in dieser Welt leben werden – so wie ich zur Wende vom Einsatz und Mut der Demonstranten in Leipzig profitiert habe, während ich mit Kleinkind und schwanger in einer Kleinstadt im Norden nicht mit auf der Straße war. Aber nun habe ich feststellen müssen, dass Jüngere andere Prioritäten haben, meine Ansichten weder geteilt noch geschätzt werden und ich in ihren Augen nicht zu ihnen, den Guten, gehöre.
    Also frage ich mich, ob sich der Einsatz lohnt oder ich es mir, so lange ich gesund bin, lieber schön machen soll.
    Dann wieder denke ich, man kann das nicht alles unwidersprochen lassen. So bin ich hin und her gerissen zwischen sich einsetzen und sich zurückziehen, zwischen Hoffnung und Resignation.
    Es war interessant zu lesen, dass auch andere sich über all das Gedanken machen.

  2. Danke Paul für deine anregenden Gedanken. Seit Jahren engagiere ich mich als weit über 70 Jähriger auf Friedensdemos und bin oft enttäuscht von einer verschwindend kleinen Teilnehmerzahl. Das sicht- und hörbare Eintreten für Frieden. Friedensdiplomatie und gegen geschichtsvergessene Kriegshysterie verstehe ich als Engagement für die Zukunft meiner Kinder und Enkel. Ja, wo ist die Jugend , wo sind die Studenten? Hier nur ein Gedankensplitter zu deiner fragenden Feststellung „Wo sind die Studenten?“ und “ Ich dachte immer Universitäten seien Schmelztiegel für Veränderung.“ Zu hinterfragen ist, ob das nicht auch ein Spiegelbild „unserer“ (nicht meiner) Bildungspolitik ist. Die Chancen auf ein Studium sind sozial bedingt ungleich verteilt. Vielleicht wären Universitäten ja Schmelztiegel für Veränderungen, wenn Bildungszugang in der BRD nicht in so hohem Maße von der sozialen Herkunft abhängt. … und dankbar bin ich dir für eine zweite Anregung, nämlich der Frage, wie war das zu deiner Zeit Nora? Das zu Papier zu bringen bedarf allerdings etwas Zeit. Nur so viel: Meine studentische Zeit in der DDR war geprägt durch den „Prager Frühling“ 1967 und die Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin. Das lässt sich hier aber nicht „in zwei Sätzen abhandeln“ Meiner Enkelin habe ich gerade gestern angeboten, sich mit mir über diese, „meine Zeit“ zu unterhalten. Wichtig ist für mich, dass meine Generation ihre Erfahrungen im Gespräch mit Kindern und Enkeln weiter gibt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert